138 Offenb. Johannis 18, 14-19 14 Und das Obst, daran deine Seele Lust hatte, ist von dir gewichen, und alles, was völlig und herrlich war, ist von dir gewichen, und du wirst solches nicht mehr finden. 15 Die Händler solcher Ware, die von ihr sind reich geworden, werden von ferne stehen vor Furcht ihrer Qual, weinen und klagen 16 und sagen: Weh, weh, die große Stadt, die bekleidet war mit köstlicher Leinwand und Purpur und Scharlach und übergoldet war mit Gold und Edelstein und Perlen! (Offenbarung 17.4) 17 denn in einer Stunde ist verwüstet solcher Reichtum. Und alle Schiffsherren und der Haufe derer, die auf den Schiffen hantieren, und Schiffsleute, die auf dem Meer hantieren, standen von ferne (Hesekiel 27.27-36) 18 und schrieen, da sie den Rauch von ihrem Brande sahen, und sprachen: Wer ist gleich der großen Stadt? 19 Und sie warfen Staub auf ihre Häupter und schrieen, weinten und klagten und sprachen: Weh, weh, die große Stadt, in welcher wir reich geworden sind alle, die da Schiffe im Meere hatten, von ihrer Ware! denn in einer Stunde ist sie verwüstet. Betrachtung von Karl August Dächsel (1818-1901), evangelischer Theologe 14. Und [so ruft hier, unmittelbar an Babel sich wendend, die Stimme vom Himmel. V. 4 zum Abschluß dieser Aufzählung in dieselbe hinein] das Obst, da deine Seele Lust an hatte [als an einer großen Leckerei], ist von dir gewichen; und alles, was völlig und herrlich war [um ebenfalls als leckere Speise zu dienen], ist von dir gewichen; und du wirst solches nicht mehr finden. 15. Die Kaufleute solcher Waare [wie in V. 12 ff. genannt], die von ihr sind reich worden, werden von ferne stehen vor Furcht ihrer Qual, weinen und klagen, 16. Und sagen: Wehe, wehe, die große Stadt, die bekleidet war mit Seiden und Purpur und Scharlach, und übergüldet war mit Golde und Edelgestein und Perlen! [Kap. 17, 4] 17. [Wie übel ist's ihr doch ergangen!] Denn in Einer Stunde ist verwüstet solcher Reichthum. - Und alle Schiffherren und der Haufe, die auf den Schiffen handthieren [nach anderer Lesart: und alle, die an einen Ort schiffen, regelmäßige Fahrten im gewisse Länder betreiben [Apostg. 27, 2], und Schiffleute [überhaupt, sammt allen], die auf dem Meer handthieren [für welche das Meer das Gebiet ihrer Berufstätigkeit und die Quelle ihres Erwerbes ist], stunden von ferne [vgl. Hes. 27, 29 ff.]; 18. Und schrieen, da sie den Rauch von ihrem Brande sahen [V. 9], und sprachen: Wer ist gleich der großen Stadt [ihrer Größe kommt keine andere nach ihr wieder gleich; daher eben ihr Untergang so schmerzlich zu beklagen ist]? 19. Und sie [zum äußeren Zeichen ihrer tiefen Trauer] warfen Staub auf ihre Häupter und schrieen, weineten uud klagten, und sprachen: Wehe, wehe, die große Stadt, in welcher reich worden sind alle, die da Schiffe im Meer hatten, von ihrer Waare; denn in Einer Stunde ist sie verwüstet [V. 8; 17, 16]. Den Königen auf Erden (V. 9) stehen zur Seite die Kaufleute auf Erden (V. 11), dazu kommen dann die, die mit dem Meer zu thun haben (V. 17); den gemeinsamen Gegensatz gegen sie alle aber bildet im folgenden Abschnitt (V. 20) der Himmel mit seinen Bewohnern, denn dieser frohlockt, während Erde nnd Meer wehklagen. Bei allen dreien, den Königen den Kaufleuten und den Schiffern, wird erwähnt, daß sie von ferne gestanden haben (V. 10. 15 u. 17), bei allen dreien beginnt die Klage mit den Worten: wehe, wehe, die große Stadt! und schließt mit den Worten: in Einer Stunde ! (V. 10.16 f. u. 19); dieses Gemeinsame verhütet das Anseinanderfallen der einzelnen Schilderungen und bezeichnet sie als zu Einem Ganzen gehörig. Was nun zunächst die Könige betrifft, so sind solche in dem jetzigen Sinne des Worts als von Gott verordnete und erbliche Regenten zu der Zeit, in welcher Babels Fall geschieht, nicht mehr vorhanden, sondern die in Kap. 17, 12 unter dem Bilde der zehn Hörner des Thiers gemeinten Gewaltherrscher sind dann schon auf dem Plan; und da diese nach Kap. 17, 16 die Hure hassen und sie vernichten, also unter den sie beweinenden und beklagenden Königen nicht verstanden werden können, so findet hier eine ähnliche Klage aus ihrem, der schon Abgethanen, Herzen heraus und in ihrem Sinne statt, wie wenn es in Jer. 31, 15 u. Matth. 2, 17 f. von Rahel heißt, sie beweine ihre Kinder - im Gesicht steigen gleichsam ihre Schatten ans der Erde empor, stehen gespensterhaft von ferne und bekunden ihre Theilnahme, wie solches hernach auch von den Kaufleuten und Schiffsleuten gilt, unter welchen nicht die im Leben noch wirklich vorhandenen, sondern alle zumal gemeint sind, die je und je ihr irdisches Interesse und ihre auf den Weltsinn der Christen berechneten Speculationen durch Rom gefördert sahen. Sie, die Könige, haben das römische Kirchenthum, solange es in vollem Flor stand, genug-sam im Dienste ihrer Politik ausgebeutet, und nun wiederum ihm zu Gefallen die rechte, wahre Kirche verfolgt und unterdrückt, oder sie doch nicht zu dem ihr gebührenden Einfluß kommen lassen; auf die Hebung und Förderung des wahren Glanbens, auf die Ausbreitung eines herzerneuernden und das Leben wirklich heiligenden Geistes haben selbst protestantische Fürsten oft viel weniger Gewicht gelegt, als anf die Gunst der "großen Stadt Babylon, der starken Stadt", und ihr die Wege in ihre Länder gebahnt, daß sie auch da wieder sich herrlich mache und ihren Muthwillen habe, wo doch in heißem Kampfe und mit schweren Opfern die Freiheit des Evangeliums errungen worden war. Wie ganz anders würde doch die Kirchen- und Weltgeschichte sich gestaltet haben, wenn die Könige auf Erden nicht mit Babylon "gehuret" hätten und mit ihr hätten "strotzen" wollen! Ist doch selbst dasjenige Fürstenhaus, das solange die Pfleger und Säugammen für die evangelische Kirche gestellt hat, lediglich aus solchem "Muthwillen" in den Schooß jener andern Kirche zurückgelaufen! Wir allegorisiren nicht, indem wir unsern Text so auslegen; wir führen nur Einiges an, was die Allegorieen der Gesichte des Johannes verständlich macht und das Wort der von ihm empfangenen Offenbarung als ein festes prophetisches erhärtet. - Was sodann die Kaufleute betrifft, so sind die von ihnen auf den großen Weltmarkt gebrachten und dort zur Schau gestellten Waaren auf die feinsten Bedürfnisse und Comforts, auf die höchste Pracht- und Prunksucht berechnet und begreifen alles in sich, worin sich die Herrlichkeit des Menschen, welche wie des Grafes Blume vergeht, die Kraft und Kunst des menschlichen Erfindungsgeistes, sein Fleiß und feine Betriebsamkeit in Ausbeutung der Erde und Anbau des zeitlichen Lebens auf's Großartigste kund thut. Sie sind in 7 Klassen zu theilen; 1) Kleinodien und Pretiosen, 2) Kleiderstoffe, 3) Prunkmöbel, 4) Spezereien, 5) Lebensmittel, 6) Wirthschaftsgegenstände, 7) Sklaven. Die Darstellung ist so gehalten, daß man sieht, wenn Babylon nun nicht mehr da ist, auch niemand mehr sich findet, der die Waaren kauft. Wie aber soll das auf Rom sich beziehen? ist denn die Papstkirche die Consumentin aller dieser Produkte und Fabrikate? Das nun allerdings nicht, sondern der Weltsinn uud die Sucht des raffinirten Lebensgenusses ist es, wobei allein eine Nachfrage nach allen diesen Handelsartikeln vorhanden ist; bei Sitteneinfalt und Genügsamkeit, bei einer Volksbildung, welcher der Stempel aufgeprägt ist: "Unser Wandel ist im Himmel, die Welt vergehet mit ihrer Lust", würden sie in Masse vom Markte des Lebens verschwinden oder überhaupt nicht erst beschafft worden sein. Nun haben wir bereits am Schluß der Wehklage der Erdbewohner über ihren Untergang darauf aufmerksam gemacht, wie die päpstliche Kirche durch ihre Weltliebe auch das Weltwesen zum höchsten Gut, zum Götzen der Völker erhoben hat; gerade dadurch, daß sie aus Weltentsagung, Himmelssinn und Beten ohne Unterlaß ein lohnendes Geschäft einzelner Orden und Personen macht, die Andern die darin liegende vermeintliche Last abnehmen können, damit diese dann ohne Beschwerung des Gewissens, ja mit dem Bewußtsein des vollen Rechts dazu, der Augenlust, Fleischeslust und dem hoffärtigen Leben sich desto rückhaltloser hingeben, hat sie es zuwege gebracht, daß der Mammons= und Fleisches dienst die Christenheit wie ein moralischer Typhus ergriffen hat, gegen den alle Heilmittel vergeblich sind, und ist nun gleich nicht Rom selber, das in politischer und merkantiler Hinsicht keine Rolle mehr spielt, der Erzeugungs= und Verkaufsort aller Modewaaren in der Welt, so ist es doch das älteste und bevorzugteste Kind Roms - Frankreich mit seiner Hanptstadt, dieses Land, das sich rühmt, an der Spitze der Civilisation zu marschiren, und bei dessen Niederlage, die es in den letzten Jahren durch Deutschland erlitten, sich vorbildlicher Weise schon erfüllt hat, daß die Kauflente auf Erden weineten und Leid trugen und ausriefen: Wehe, wehe, die große Stadt! Auch auf die Kreuzzüge kann man hinweisen - , diesen großartigen 150jährigen Kampf der Kirche um die Muschel, die sie für die Perle hielte - insofern der Glanz des Goldes, der Edelsteine und der Perlen, das Feuer der Gewürze und die Pracht der Gewänder das Abendland reizten und blendeten und feinen weltlichen Sinn nährten; sie sind die Hauptbeförderer des Handels der christlichen Nationen Europa's, namentlich Jtaliens und Deutschlands ge= worden. Nicht ohne Bedeutung ist es wohl, daß in obiger Aufzählung der Waaren gerade die Stoffe her= vorgehoben werden, die dem Prunk der Gottesdienste der verweltlichten Kirche und der weltlichen Pracht ihrer Diener vorzüglich gedient haben. Kaum haben die Könige der Erde soviel Gold, Silber, Edelsteine, Perlen und Elfenbein verbraucht, als die katholische Kirche, die griechische mit eingeschlossen, zum Schmuck ihrer heil. Gefäße, Bilder, Altäre und Statuen es gethan hat. Und wer denkt bei der Anfzählung von Purpur, Seide und Scharlach nicht an die Priestergewänder jener Kirche, oder bei Räuchwerk, Salbe und Weihrauch nicht an das Gedüft, das diese Kirche in einem solchen Maße anwendet, daß der Weihrauch= verbrauch einer einzigen größeren Kirche den eines ganzen Landen weit übersteigt! Wie hoch der Luxus der Träger der römisch=katholischen Kirche z. B. im 18. Jahrh. gestiegen war, dafür giebt W. Menzel in seiner Geschichte der letzten 120 Jahre die klagendsten Beispiele. Die Erzbisthümer und Bisthümer, sagt er, waren nach und nach Domänen des Adels geworden; um ein Domherr in Mainz werden zu können, mußte man 16 Ahnen aufweisen, um in Köln, mußte man Reichsgraf sein. Die jüngeren Söhne des Adels wur= den nicht nur in den einträglichsten Domherrnstellen versorgt, sondern fanden auch Gelegenheit, wenn sie Bifchöfe wurden, ihre Familie zu bereichern. Der Mainzer Dompropst von Eltz bezog jährlich 75'000 Gulden geistliche Revenüen. Es sträubt sich die Feder, alle Dinge, die weiter sich vorbringen ließen, wie z. B. daß man bei Aufhebung eines Nonnenklosters 6,800 Eimer Wein in 8 Kellern, die lästerliche Namen führten, vorfand, niederzufchreiben; aber sie dienen zum Commentar der Klage der Händler bei dem Zusammenbruch einer Kirche, die, statt wider das Wohlleben und den Luxus ihre Zeugenstimme zu erheben, sich selbst es hat wohl sein lassen in den Freuden und Genüssen dieser Welt. (Steffann) Jn Beziehung auf die Schlußworte des 13. Verses bemerkt Ebrard: Im Grundtext schließt sich das "Leiber" an das vorhergehende "Pferde und Wagen" unmittelbar an, "Seelen der Menschen" aber ist recht absichtlich (durch andere Construction) davon gesondert, daß man nicht etwa "Leiber und Seelen der Menschen" zusammennehme. Leiber steht offenbar in dem Sinne, den es auch sonst bei den Griechen hat, nämlich zur Bezeichnung von Sklaven, die als solche wie das Vieh nur mit ihren Leibern, als brauchbar zum Lasttragen und andern Arbeiten, in Betracht kommen; dann aber kann das nachdrucksvoll sich absondernde Seelen der Menschen unmög-lich wieder das Nämliche bezeichnen, diese verhalten sich vielmehr zu allem Vorhergehenden nicht als ein letzter einzelner unter den vielen Handelsartikeln, sondern jener große Weltverkehr, wo Babel den Kaufleuten in die Hände arbeitete und diese wiederum Babel huldig-ten und in seinem Sinne die Erdbewohner an die Erde fesselten, wird auf eine Weise geführt, daß dabei die Seelen zu Grunde gerichtet werden, und darum folgt so bedeutungsvoll nach: und - "Seelen der Menschen." Seelen der Menschen, schreibt Kemmler, waren von jeher in Rom eine sehr gesuchte Waare, macht ja doch der Papst auf alle Seelen der Menschen, zumal der Getauften, Anspruch, und um demselben Achtung zu verschaffen, hat er sich's schon manches schöne Stück Geld kosten lassen; auch den Ablaßhandel, bei welchem es ebenfalls Seelen der Menschen gilt, hat seiner Zeit nicht bloß dem Papste selbst, sondern auch Handelsleuten von einer gewissen Sorte eine bedeutende Summe abgeworfen. - Was schließlich die Schiffer betrifft, so dienen diese dazu, um auf die internatio-nale, weltumfassende Ausbreitung jenes Verkehrs, den Rom mit den Völkern unterhalten hat, hinzuweisen, und veranschaulichen das "die auf vielen Wassern sitzt" in Kap. 17, 1; und wie nun die Könige sie als die starke oder mächtige Stadt bezeichneten, auf die sie sich mit ihrer Herrschaft verlassen hatten" und die Kaufleute als die luxuriöse und verschwenderische Stadt" durch deren Vermittlung sie reich geworden" so beklagen die Schiffsleute sie als die unvergleichlich große Stadt" nach deren Untergang ein solcher internationaler Verkehr und Zusammenhang der Völker" eine solche Einheit in der Welt, wie sie bisher bestanden, nicht wieder zu Stande kommt, und ihre Klage ist noch leidenschaft-licher als die der Andern. In der That, wenn nun auf Einmal die tausendjährigen Bande, welche die Na-tionen an Rom geknüpft haben, zerrissen sind, da wird die bisherige Welt allerdings aus den Fugen gehen; das muß aber auch geschehen, damit der Antichrist sein Reich zur Ausgestaltung bringen könne, denn alles, was irgend wie eine Ordnung der Dinge aussieht, und wäre es auch eine verkehrte Ordnung, gehört mit zu dem, was das Offenbarwerden der Bosheit noch aufhält (2. Thess. 2, 7). ,,Die Wehklagenden reden aus der Seele derer, die zu der Zeit leben" wo der Anti= christ seine Greuelherrschaft schon angefangen hat auszubreiten (17, 3), wo die festen Ordnungen in den Staaten gebrochen, wo alles Alte, unter welchem der Verkehr der Völker nach innen und außen gesichert war, über den Haufen geworfen ist, wo schon die allgemeine Verwüstung angefangen hat; nun kommt der Fall Roms, das sich im Papstthum dem Antichristenthum noch entgegengestellt hatte, und die Verwüstung schreitet vorwärts - da schwindet der Handel, da wird die Schiffahrt unsicher und bringt keinen Gewinn mehr, da muß aller Wohlstand zu Grunde gehen. Aus: August Dächsel (Hrsg.): Die Bibel oder Die ganze Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments, nach der deutschen Übersetzung Dr. Martin Luthers, mit in den Text eingeschalteter Auslegung, 7 Bände, A. Deichert'sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1865-1898. - Band 7