Philipp Jakob
Spener Der hochwichtige Artikel von der Wiedergeburt Wir nehmen zur Hauptlehre, worin insgemein die eigentliche Art der Wiedergeburt besteht. |
Bibeltext: Psalm 51, 12 Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, gewissen Geist.
Hier haben wir zu merken, daß von unseren christlichen Theologen das Wort Wiedergeburt auf unterschiedliche Art gebraucht wird:
1. Einige verstehen das Wort in einem solchen besonderen und Spezialverstand, daß es allerdings entgegengesetzt wird der Bekehrung, der Schaffung eines neuen Menschen, und heißt allein diejenige Gnade, da Gott dem sonst in Sünden toten Menschen die Kräfte zu glauben und aufzustehen gibt.
2. Andere, wie solches Verständnis in der Apologie der Augsburger Konfession nach dem Zeugnis der Formula Concordiae, Blatt 786, mehrmals vorkommt, verstehen darunter allein die Rechtfertigung, da der Mensch die Vergebung der Sünden erlangt.
3. Andere verstehen dadurch diejenige Wohltat, wenn Gott nunmehr eine neue Natur in dem
Menschen schafft, daß der Mensch nach seinem Sinn und Zuneigung ein anderer Mensch wird.
Welcher letzte Verstand der Redensart der Schrift am gemäßesten sein wird und unser
lieber Luther denselben sonderlich geliebt hat.
Wir tun aber am besten, wenn wir alle drei Stücke zusammenfassen, wie denn gewiß ist,
daß von dem, was die Schrift die Wiedergeburt nennt, keines der drei Stücke kann
ausgeschlossen werden. In unserm Text [Ps 51,12] wird von dem dritten ausdrücklich
geredet, weil die Schaffung eines reinen Herzens gemeldet wird. Aber es steht vorher von
der Vergebung der Sünden und hatte David dieselbe erst erbeten, als er wusste, daß er
der neuen Natur nicht fähig wäre, wenn nicht zuerst die Sünden vergeben sind. Nachdem
aber weder die Vergebung der Sünden erlangt noch eine neue Natur in den Menschen gewirkt
werden kann, es sei denn zuerst der Glaube da, so wird also auch zum allerersten die
Wirkung des Glaubens vorausgesetzt. Also, wenn wir es am deutlichsten vorstellen wollen,
hat es diese Bewandtnis mit der Wiedergeburt, daß dreierlei geschieht und sie also, wenn
wir so reden wollen, aus drei Stücken besteht:
1. Die Entzündung des Glaubens, ohne welchen der Mensch keiner weiteren Gnade fähig ist.
Damit geht es also zu: Wo der Mensch zuerst in der Buße zur Erkenntnis der Sünden und zu
deren Haß gebracht wurde (wir reden hier eigentlich von der Wiedergeburt der Erwachsenen,
wo die Sache klarer zu sehen ist, denn bei den Kindern ist nicht alles gleich nötig) und
er also nach Hilfe sich ängstigt, hingegen ihm das Evangelium von göttlicher Gnade
begegnet, daß er es liest oder es ihm gepredigt wird, so ist das erste, daß der Geist
aus dem Wort ein Fünklein des Glaubens in ihm läßt entzündet werden, daß er nun
göttliche Gnade in solchem ersten Licht Gottes erkennt und mit Vertrauen danach verlangt.
Sobald dieser Glaube da ist, so ist der Anfang der Wiedergeburt geschehen, daher wir die
Erweckung des Glaubens mit gutem Fug das erste Stück der Wiedergeburt nennen. Und
da fängt das geistliche Leben an.
2. Sobald nun der Glaube vorhanden ist und sich an die Gnade Gottes in Christo Jesu hält,
so schenkt Gott einem solchen Menschen nach seiner Verheißung solche Gnade und also die
Vergebung aller seiner Sünden, daß, ob er wohl in seiner Natur noch ein Sünder
ist, daß er doch vor Gottes Gericht kein Sünder mehr ist, weil ihm alle
Sünden vergeben sind. Dieses ist dann mutatio moralis, nämlich daß der Mensch nicht in
sich, sondern in seinem Zustand vor Gottes Gericht geändert und aus einem der Verdammnis
schuldigen Ungerechten ein durch die Vergebung Gerechter wird. Welches wir die
Rechtfertigung nennen; und wir gehört haben, daß die Apologie dieses vornehmlich in der
Wiedergeburt ansieht. Mit dieser Rechtfertigung ist alsobald verbunden, daß Gott einen
solchen Menschen, den er zu Gnaden angenommen und ihm seine Sünde vergeben hat, auch
gleich zu seinem Kinde annimmt, daß also die adoptio oder Annahme an Kindes Statt auch
mit hierzu gehört.
3. Weil es aber göttlicher Heiligkeit nicht gemäß wäre, solche Leute zu Kindern zu
haben, an denen und ihren Personen selbst nichts Gutes wäre, sondern die natürliche
Verderbnis allein bei ihnen bliebe; daß sie daher auch nie etwas Gutes tun könnten: so
läßt es Gott bei den vorigen beiden Wohltaten nicht bleiben, sondern es kommt noch die
dritte dazu, daß Gott in einem solchen Menschen so bald eine neue Natur wirkt, nach der
er nunmehr göttlich gesinnt ist, Gott und das Gute in seinem Innerlichen wahrhaftig
liebt, auch Gutes zu tun vermag. Welches wir die Schaffung des neuen Menschen heißen.
Diese drei Stücke sind beisammen und folgen nicht erst lange Zeit nacheinander, so, daß
einer zuerst den Glauben empfinge, nach ziemlicher Zeit würden ihm seine Sünden
vergeben, wiederum nach anderer Frist würde er zu einem anderen Menschen geboren: sondern
sie geschehen zugleich, sozusagen in einem Augenblick. Denn sobald der Mensch glaubt,
sobald hat er die Vergebung der Sünden, und sobald er diese hat, ist
auch die neue göttliche Natur da: nur daß der Natur nach sie
aufeinander und eine aus der anderen folgen, obwohl zu einer Zeit. Wir wollen auch
weiterhin von allen drei Stücken nacheinander, von jeglichem besonders, handeln, um einer
jeden Art recht einzusehen.
Weil also gedachtermaßen diese drei Stücke zu der wahren und völligen Wiedergeburt
gehören, so haben wir uns wohl vorzusehen, daß wir sie nicht voneinander trennen: weil
sie sich nach göttlicher Ordnung nicht voneinander trennen lassen. Es sind derjenigen
nicht wenige, welche alles ihr Vertrauen der Seligkeit auf den Glauben setzen. Nun leugne
ich nicht, daß der wahre Glaube das einzige Mittel unserer Seligkeit von unserer Seite
sei: wenn es aber nur der wahre Glaube ist, den der Geist in der Schrift meint, wie er
demselben so große Dinge zuschreibt.
Wollen wir aber wissen, welches der wahre, allein seligmachende Glaube
sei, so sagt es unser Luther in der Vorrede an die Römer, wo er schreibt: Der Glaube ist
ein göttlich Werk in uns, das uns wandelt und neu gebiert aus Gott, Joh. 1,13, und tötet
den alten Adam, macht uns ganz andere Menschen an Herz, Mut, Sinn und allen Kräften und
bringt den Geist mit sich. Wenn also einer sich des Glaubens rühmt und daraus selig
werden will, er muß aber bekennen, daß er noch an Herz, Mut und Sinn kein anderer Mensch
geworden, sondern noch durch und durch allein der alte Mensch sei, ist das ein klares
Zeugnis, daß er noch nicht wiedergeboren sei und also auch (weil die
drei Stücke sich nicht voneinander trennen lassen) dasjenige, was er bei sich für den
wahren Glauben hält, in der Tat der wahre Glaube nicht ist.
Also, einige wollen sich allein auf die Rechtfertigung oder Vergebung der Sünden
verlassen, weil wir ja in dem Katechismus sagten: wo Vergebung der Sünden ist, da ist
auch Leben und Seligkeit, meinen also, es bedürfe nicht, eben ein anderer Mensch zu
werden, wollen also auch das andere und dritte Stück der Wiedergeburt trennen. Aber dabei
bleibt's, daß sie Gott zusammengesetzt, und wer sie voneinander absondern will, wird
keines von beiden haben. Es heißt mit Recht 1.Joh. 3,7: Kindlein, lasset euch niemand
verführen. Wer recht tut, der ist gerecht, gleich wie Er gerecht ist. Wo dem "recht
tun" nicht die Gerechtigkeit also zugeschrieben wird, daß man sie durch "recht
tun" zuweg bringe, sondern daß das "recht tun" bei der Gerechtigkeit
gewiß sei, und also muß einer erst als ein anderer Mensch geboren worden sein, um aus
solcher Geburt nunmehr die Kraft zu haben, daß er könne Gutes tun. Wer aber nicht recht
tut und keine neue Natur an sich hat, aus der er Gutes tun könnte, und bildet sich doch
ein, daß er gerecht sei: das, sagt der Apostel, sei ein Betrug, davor wir uns zu hüten
[haben]; und die neue Natur, da wir sie bei uns haben und gleichsam fühlen oder sie bei
andern aus ihren Früchten sehen, für das rechte Zeugnis der Rechtfertigung zu erkennen
haben. Was die Worte des Katechismus anbelangt, sind sie vielmehr gegen als für eine
solche Verkehrung; es heißt: wo Vergebung der Sünden sei, da sei auch nicht nur
Seligkeit, sondern Leben und Seligkeit; Leben, nämlich eine neue geistliche Lebenskraft,
aus der man Gutes zu tun vermöge. Wo also diese nicht ist, sondern der Mensch bleibt in
seinem Sündentod und in seiner verdorbenen Natur, so ist das eine Anzeige, daß
auch keine Vergebung der Sünden bei ihm sein kann.
Hingegen dürfen wir auch nicht nur an das dritte Stück oder die neue Natur mit
Ausschließung der anderen denken und uns die Seligkeit davon, daß wir uns andere
Menschen zu sein befleißigen, ohne vorhergehenden Fleiß in der Versicherung der
Vergebung zu stehen, versprechen: weil leider unsere Natur, wie weit es mit derselben
kommt, noch sehr unvollkommen bleibt, deshalb ihretwegen allein gewiß die Seligkeit uns
nicht zukäme: sondern es muß den Grund legen, daß wir erstlich durch den Glauben die
Vergebung der Sünden und also das Recht der Seligkeit erlangen; wo dieses erstlich
vorhanden ist, so gefällt Gott um Christi willen, was von der neuen Natur sich bei uns
durch die Wirkung des Geistes findet, womit wir sonst, aus uns selbst, vor seinem Gericht
nicht bestehen könnten.
Also müssen wir trachten, in der rechten Wiedergeburt nach allen diesen Stücken zu
stehen und den Glauben und die Vergebung der Sünden lassen den Grund unserer Seligkeit
sein, aber an der Wirkung eines neuen Menschen die Probe suchen, ob auch unser Glaube, auf
den wir vertrauen, der rechten Art und ein solcher sei, der uns der Vergebung der Sünden
fähig mache: Auf daß wir uns nicht selbst gefährlich betrügen!
Wir müssen ferner wissen und fleißig daran denken, daß erstlich vor allen diesen
Stücken muß erst vorhergehen die wahre Buße, wie dieselbe besteht in
redlicher Erkenntnis und wirklicher Ablegung der Sünden, ohne welche Buße der Mensch zu
keinem unter den drei Stücken der Wiedergeburt fähig ist; und wir haben bemerkt, als
David um den neuen und gewissen Geist und um das reine Herz gebeten, daß er in wahrer
Buße und schmerzlicher Reue seiner Sünden stand. Hieran liegt der meiste Mangel, daß so
wenig Wiedergeborene sind: Sie wollen gern auch zum Glauben kommen, Vergebung der Sünden
haben und von Gott neue Kraft zum Guten erlangen - und doch in den Sünden bleiben und sie
nicht mit rechtschaffenem Eifer ablegen und gleichsam abschwören. Daher
kommen sie weder zu dem Glauben noch Rechtfertigung noch einer neuen Natur: aus ihrer
Schuld. Also laßt uns allezeit den Geist sein Werk in uns lassen, daß er uns zur Buße
leitet, damit wir auch der übrigen Wirkungen fähig werden!
Weil wir ferner wissen, daß auf die Wiedergeburt auch die Erneuerung folgen soll, und da
Gott ein rein' Herz in uns geschaffen, aus solchem Herzen das Leben danach geführt werden
muß, so laßt uns auch die Ermahnung des Paulus wohl in acht nehmen,
Eph. 4,22ff.: So leget nun von euch ab nach dem vorigen Wandel den alten Menschen, der durch Lüste im Irrtum sich verderbet.
Es wird zwar in der Buße, ehe wir wirklich wiedergeboren werden, der Anfang des
Ablegens des alten Menschen gemacht, wo man die Sünde erkennt und dieselbe zu hassen
anfängt, daher ihr auch die Herrschaft genommen wird. Aber es bleibt derselbe doch noch
bei uns und muß immer mehr und mehr gleichsam von Stück zu Stück abgelegt werden.
Erneuert euch aber im Geist eures Gemüts! Wenn Gott euch einmal einen neuen, gewissen und
bereiten Geist gegeben hat, so erneuert denselben täglich, daß ihr an demselben wachst.
Und ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist, in rechtschaffener
Gerechtigkeit und Heiligkeit. Aber obwohl der neue Mensch bei den Gläubigen aus der
Wiedergeburt bereits vorhanden ist, müssen sie ihn doch immer noch weiter anziehen und
das göttliche Bild in uns [muß] weiter erneuert werden. Ach, laßt dieses unsere
tägliche Sorge sein, ja das vornehmste unseres Gebets mit David auch
dahin richten!
So haben wir alsdann diesen Trost: Es heißt nicht, daß wir uns selbst wiedergebären
müssen; denn ob uns solches auch lange befohlen würde, könnten wir es doch nicht tun
oder ausrichten. Sondern der Herr will uns wiedergebären, ein reines Herz in uns schaffen
und einen neuen Geist uns geben: wenn wir nur seiner Gnade und Geist dazu Platz bei uns
lassen. Also soll es uns nicht daran fehlen, wenn wir es nur nicht an uns, göttliche
Gnade anzunehmen, fehlen lassen. Hat er es auch in uns angefangen und uns wiedergeboren zu
der lebendigen Hoffnung, so haben wir auch die gewisse Versicherung, er will uns die neue
Natur, die er in uns gewirkt hat, aus seiner Macht durch den Glauben bewahren zur
Seligkeit, als die aus ihrer Geburt bereits das Recht zum Erbe hat und sich dessen in
gläubiger Demut rühmt...
Interner Link:
Johannes Wesley: Die Wiedergeburt